DAX 40: Ein Erfolgsmodell oder nur eine Illusion?
07.10.24
Des börsendeutschen liebstes Kind, der DAX, hat in den zurückliegenden drei Jahren wesentliche Veränderungen erfahren. Die erste im September 2021, als die Zahl der DAX-Titel von 30 auf 40 erhöht worden ist. In diesem Zuge von Relevanz war allerdings lediglich die Hinzunahme von Airbus, welche aufgrund des damals wie heute ansehnlichen Unternehmenswertes, fortan rund sechs Prozent der Indexgewichtung ausmachte. Ferner wurde die Kappungsgrenze im März 2024 von zehn auf 15% erhöht. Dieser Veränderung ist es zu verdanken, dass die Aktien der SAP SE derzeit mit fast 15% das deutliche Indexschwergewicht bilden können.
Beide Veränderungen scheinen Gutes bewirkt zu haben. Denn schließlich konnte der DAX in den letzten drei Jahren um rund 26% zulegen. Diese Entwicklung ist auch deswegen bemerkenswert, da die vergangenen Jahre ereignisreich und die Zahl der Krisen, unter denen insbesondere die deutsche Wirtschaft zu leiden hatte, groß war. Und dennoch lag die DAX-Entwicklung nur wenige Prozentpunkte unterhalb der des globalen Aktienmarktes. Gilt folglich: DAX 40 und erhöhte Kappungsgrenze, ein Erfolgsmodell? Im vorliegenden Infobrief wollen wir unter anderem dieser Frage nachgehen.
Die einzelnen Bestandteile der Indexentwicklung
Indexveränderungen lassen sich im Kern vier Segmenten zuordnen: Dividendenzahlungen, Kapitalveränderungen, Unternehmenswertentwicklung sowie eine veränderte Sichtweise des Marktes. Im Falle des DAX gibt die nachfolgende Grafik Auskunft über den relativen Beitrag der jeweiligen Performancetreiber:1
Dabei
- bildet die grüne Linie die Entwicklung des DAX-Performanceindex ab. Dieser konnte in dem betrachten Zeitraum (30.09.2021 bis 30.09.2024) um 26,6% zulegen.
- zeichnet die blaue Linie die Entwicklung des DAX Kursindex nach. Im Unterschied zum DAX-Performanceindex gibt dieser die DAX-Entwicklung exkl. ausgezahlter Dividenden, sowie die Annahme, dass diese wieder in Anteilsscheinen des ausschüttenden Unternehmens angelegt werden, an. Im abgebildeten Zeitraum lag der Anstieg des DAX-Kursindex bei 15,1%.
- zeigt die orangefarbene Linie die Veränderung der Marktkapitalisierung aller im DAX enthaltenen Gesellschaften. Gegenüber dem 30.09.2021 lag der Zuwachs bei EUR 76 Mrd. oder 4,6%.
So gesehen
- hatten 11,5% (26,6% abzüglich 15,1%) oder 43,2% (11,5% von 26,6%) der DAX-Entwicklung ihren Ursprung in Dividendenzahlungen.
- waren 10,6% (15,1% abzgl. 4,6%) oder 39,5% (10,6% von 26,6%) Kapitalveränderungen — und hier in der Hauptsache Aktienrückkäufen — zuzurechnen.
- sind lediglich 4,6% der Indexentwicklung oder 17,4% (4,6% von 26,6%) einer (positiven) Unternehmenswertentwicklung bzw. veränderten Sichtweise des Marktes geschuldet.
Zusammenfassend lässt sich folglich sagen, dass mehr als 80% der gesamten DAX-Entwicklung weder einer positiven Unternehmensentwicklung noch einer veränderten Sichtweise des Marktes zuzuschreiben sind. Stattdessen haben Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe die DAX-Entwicklung wesentlich geprägt. Die nachfolgende Tabelle vergleicht diese Entwicklung mit der des globalen Aktienmarktes (MSCI ACWI):2
Anders als im Falle des DAX, gründet die positive Entwicklung des globalen Aktienmarktes demnach zu mehr als der Hälfte auf gesteigerten Unternehmenswerten bzw. einer zum Positiven hin veränderten Sichtweise des Marktes. Auf Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe entfielen dagegen „lediglich“ 8,4% (33% abzgl. 24,6%) bzw. 7,1% (24,6% abzgl. 17,5%) der Gesamtentwicklung.
Als weitere DAX-Besonderheit darf zudem gelten, dass nicht einmal jede dritte DAX-Aktie im betrachteten Zeitraum eine Rendite erwirtschaften konnte, die oberhalb der Indexrendite gelegen hat. Mehr als die Hälfte aller Aktien entwickelten sich zudem negativ — und das mit durchschnittlich -26%!
Warum sich der DAX dennoch positiv entwickeln konnte
Dass es dem DAX auf Indexebene dennoch möglich war, eine mit mehr als 15% spürbar positive Kurs-Entwicklung zu generieren, kann folglich nur an der positiven Entwicklung einzelner, höher gewichteter Aktien gelegen haben.
Und in der Tat gehörten die Indexschwergewichte nahezu ausnahmslos zu den Top-Performern im betrachteten Dreijahreszeitraum:3
Die Annahme, dass Märkte über vernünftig lange Zeiträume die Zukunft effizient preisen, würde vermuten lassen, dass der Grund dieser erfreulichen Kursentwicklung (+57,9% in drei Jahren) vor allem in der (vermutet) positiven Entwicklung der genannten Unternehmen liegt. Hinzu kämen bzw. hiervon in Abzug zu bringen wären noch marktseitige „Stimmungsschwankungen“, die nahezu jeden Gemütszustand zwischen „Himmel hoch jauchzend“ bis „zu Tode betrübt“ einnehmen und in Teils erheblichen Zu- oder Abschlägen auf die tatsächliche Unternehmenswertentwicklung zum Ausdruck kommen können.
Dieser Logik folgend, hätten sich die Aktienpreise der vorstehend genannten DAX-Schwergewichte im Durchschnitt um rund 40% erhöhen müssen. Denn um diesen Prozentsatz erwartet der Markt, dass sich die Gewinne der fünf genannten Gesellschaften in den kommenden Jahren ändern werden, wobei die Spanne von 18,6% (Allianz) bis 47,9% (Deutsche Telekom) reicht. Diesen 40% an erwarteter Gewinnsteigerung hinzuzurechnen wären noch weitere knapp 18%, die einer — hier zum positiven hin — veränderten Marktsicht entspringen und so insgesamt den gesehenen Kurszuwachs von 57,9% rechtfertigen würden.
Eine solch positive Erwartungshaltung mag gerechtfertigt sein. Sie liegt jedoch überwiegend (deutlich) oberhalb historischer Werte und lässt dem Irrtum keinen Platz. Doch scheint es uns ohnehin fraglich, ob die zu erwartende Unternehmenswertentwicklung im Falle der vorstehenden DAX-Schwergewichte wirklich noch den relevanten Marktpreisanker bildet.
Wer geht voran und wer folgt? Fundamentale Prinzipien außer Kraft gesetzt?
Diese Fragen aufgreifend, vergleicht die nachfolgende Grafik die Entwicklung der Allianz-Aktie (grüne Linie) mit jener des US-Versicherungssektors (blaue Linie):4
Während der Verlauf bis in das dritte Quartal des Jahres 2022 noch sehr verschieden war, ist er seit rund 1,5 Jahren nahezu parallel. Dies lässt vermuten, dass die bis zuletzt positive Entwicklung der Allianz-Aktie weniger der eigentlichen Unternehmenswertentwicklung als vielmehr einer generellen Sichtweise des Marktes auf den gesamten US-Versicherungs-Sektor geschuldet ist. Und Gleiches lässt sich auch mit Blick auf die Aktienpreisentwicklung der Deutschen Telekom5…
sowie SAP schlussfolgern. Im Unterschied zur Aktie der Allianz SE und der Deutschen Telekom AG, gilt das mit Blick auf die Entwicklung der SAP-Aktie jedoch nur von Ende 2022 bis in das Frühjahr 2024. Daran anschließend veränderte sich das Bild deutlich zu Gunsten der SAP-Aktie:6
Aus welchen Gründen sich SAP, der offensichtlichen Markterwartung folgend, fundamental so viel besser entwickeln sollte, als der übrige Software-Sektor (welcher so prominente Gesellschaften wie Microsoft, Adobe oder Cadence beinhaltet) erschließt sich uns nicht. Darin allein liegen jedoch über 50% der Entwicklung des DAX-Kursindexes der letzten drei Jahre begründet. Hier wird die Zukunft zeigen müssen, ob und falls ja, in welcher Weise sich beide Linien wieder annähern werden.
Fazit
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Sie alle lassen vermuten, dass es weniger die für die Zukunft positiv erwartete Unternehmenswertentwicklung von Allianz & Co. sind, welche die guten Aktienkursentwicklungen der letzten 1,5 Jahre begründen. Vielmehr scheinen „fremde Mächte“ und damit vorwiegend aus dem Ausland stammende Liquidität ihren Weg in deutsche Aktien gefunden zu haben, denen auf der Suche nach einer „sektorgestützten Allokation“ in Europa kaum besseres einfallen konnte, als in deutsche Blue Chips, allen voran die Aktien der SAP SE, zu allokieren und damit diese Aktienpreise (künstlich?) in die Höhe zu treiben.
Sollte sich diese Annahme als wahr herausstellen, wäre die bis zuletzt gute DAX-Entwicklung jedoch weder den Indexveränderungen (Erweiterung der Titelzahl auf 40 Werte, Erhöhung der Kappungsgrenze) noch einer (mehr oder weniger) guten Fundamentalentwicklung der jeweiligen Unternehmen geschuldet. Stattdessen wären es vor allem globale Liquiditätsflüsse, die ihren Weg nach Europa gefunden haben und die Bewertung zahlreicher und vor allem großer (deutscher) Gesellschaften in immer luftigere Höhen getrieben haben.
Zu glauben, dass sich ein solcher „Liquiditätseffekt“ auf Deutschland oder Europa beschränkt haben wird, hielten wir für naiv. Vielmehr lässt die Bewertung zahlreicher, hochkapitalisierter Gesellschaften darauf schließen, dass die fundamentale Unternehmensentwicklung auch in anderen Teilen der Welt nicht mehr die treibende Kraft hinter den zuletzt gesehenen Kursanstiegen gewesen ist — und damit auch als künftiger Treiber nur noch bedingt in Frage kommt. Stattdessen gilt es, sich der Kraft der (Liquiditäts-) Welle bewusst zu werden und in der Gewissheit zu handeln, dass jede Welle irgendwann an Kraft verliert, auf jede Ebbe die Flut folgt und Gleiches auch umgekehrt gilt. Aus diesem Grund bleiben wir mit Blick auf die weitere Aktienmarktentwicklung skeptisch und in zunehmendem Maße selektiv.
1 Quelle: Bloomberg
2 Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
3 Quelle: Bloomberg, iShares, eigene Berechnungen
4 Quelle: Bloomberg
5 Quelle: Bloomberg
6 Quelle: Bloomberg