Infobrief 02/2024 – Zwischen Höhenflug und Herausforderung

Ein Jahresauftakt wie er — zumindest an den Finanzmärkten — kaum schöner hätte sein können: Gegenüber dem US-Dollar konnte Gold um rund acht Prozent, Rohöl um 16% und der Bitcoin sogar um 66% aufwerten. Ebenfalls positiv verlief die Entwicklung an den meisten großen Aktienmärkten: Australien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan oder Taiwan, egal wohin man schaut, jeder dieser Märkte konnte im ersten Quartal neue Höchststände markieren bzw. sich den Alten bis auf einen Wimpernschlag annähern. “Natürlich“ gilt das auch für die USA, wo das Kursplus zwischen knapp sechs Prozent (DOW JONES) und elf Prozent (S&P 100) gelegen hat. Und sogar der deutsche Aktienmarkt, sonst eher als kranker Aktien-Mann Europas bekannt, konnte, bezogen auf den DAX, zweistellig zulegen. Ergänzt um Zinssätze, welche, angesichts nachlassender Inflationsraten, wieder genügen, um das Kapital real in seinem Wert zu erhalten, dürfte das erste Quartal sehr nach den Wünschen der meisten Investoren verlaufen sein.

Taucht man jedoch tiefer, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Zwar ist an den vorstehenden Beobachtungen wenig auszusetzen und es trifft zu, dass zahlreiche Aktienindizes im ersten Quartal neue Höchststände markieren konnten. Doch ist das unverändert der Entwicklung einiger weniger hoch gewichteter Aktien geschuldet. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf die nachfolgende Tabelle verwiesen, welche die Zusammensetzung und Entwicklung von fünf mehr oder weniger bekannten Aktienindizes in Ausschnitten wiedergibt:1

Der OMX (Copenhagen) 25-Index, als dänisches Pendant zum deutschen DAX, enthält bspw. 25 Einzelaktien, angefangen bei A. P. Møller-Mærsk, über die Carlsberg Group bis hin zu Vestas Wind Systems. Mit 16,7% am höchsten gewichtet ist jedoch die Aktie der Novo Nordisk A/S, deren positive Entwicklung im Jahr 2024 (+27,2%) allein mehr als die Hälfte zur Indexentwicklung (+7,8%) beigetragen hat. Und auch langfristig war die Entwicklung der Novo Nordisk Aktie (+451,6% auf Sicht von fünf Jahren) von überragender Bedeutung für die Indexentwicklung (+88,7%).

Ähnliches gilt für die französische LVMH und Hermès, deren addierte Gewichtung im CAC 40 in etwa der von Novo Nordisk entspricht oder der taiwanesischen Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), auf die fast ein Viertel des Gewichts des MSCI Taiwan entfällt. Sogar die USA bilden, ungeachtet ihres Status als weltweit größter Kapitalmarkt, hiervon keine Ausnahme. So entfällt mehr als ein Viertel des Indexgewichts (des S&P 100) auf die Aktien von nur drei Gesellschaften: Microsoft (10,4%), Apple (8,3%) und Nvidia (7,4%); auch braucht es lediglich die Hinzufügung sieben weiterer Gesellschaften, um die 50%-Gewichtungsmarke zu erreichen. Übertragen auf Deutschland und Frankreich, machen diese Top 10-Werte dann bereits 60% des gesamten Indexes aus, in Dänemark sind es sogar 80%.

Angesichts solcher Gewichtungshöhen stellt sich die Frage, wie verschieden die Entwicklung der „großen“ Aktienindizes ohne diese TOP-Werte in den zurückliegenden Jahren wohl gewesen wäre? Wo würde der dänische OMX 25 heute ohne die +450% von Novo Nordisk stehen, wo der deutsche DAX ohne die Aktien von SAP (+98%), Siemens (+136%) oder die Münchener Rück (+164%)? Welches Indexniveau hätte der französische CAC 40 heute ohne die Entwicklung von LVMH (+169%), Schneider Electric (+235%) oder Hermès (+309%) erreicht? Und wo stünde der S&P wohl heute ohne die 1.900% von Nvidia, die 550% von Eli Lilly oder die 270% von Microsoft?

Wer sich ernsthaft Antworten auf diese Fragen wünscht, sollte seinen Blick auf die zweite Reihe richten, deren Entwicklung sich vielfach deutlich von jener der ersten unterscheidet:2

So blieb bspw. die Entwicklung des einstiegen „Aushängeschilds“ MDAX, welcher die Entwicklung der Aktien der 50 größten deutschen Unternehmen widerspiegelt, die hinsichtlich Marktkapitalisierung und Orderbuchumsatz auf die 40 Unternehmen des DAX folgen, mit einem Minus von 0,4% spürbar hinter der diesjährigen DAX-Entwicklung (+10,4%) zurück. Gleiches gilt für die vergangenen drei (MDAX – 17,2% vs. +22,8% DAX) bzw. fünf Jahre (MDAX +5,9% vs. +58,8% DAX). Zwar bildet der MDAX das Schlusslicht in diesem Vergleich. Doch notiert sogar der US-amerikanische Russell 2000, welcher die Entwicklung der 2.000 kleinsten Gesellschaften aus dem Russell 3000 abbildet, mit Blick auf die vergangenen drei Jahre noch immer im Minus (vs. S&P 100 +42,3%). Auch entspricht seine diesjährige Entwicklung (+5,2%) weniger als der Hälfte des S&P 100 (+11,2%) — und gleiches gilt mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre (Russell 2000 +45,9% vs. S&P 100 +112,8%).

Die positive Entwicklung zahlreicher Large Cap-Indizes ist somit weniger Kennzeichen einer marktbreiten Aktienmarktrallye, als vielmehr das Ergebnis der Entwicklung einiger weniger, zusehends in den jeweiligen Indizes höhergewichteten Einzelwerte.

Oberflächlich betrachtet verlief der Jahresauftakt an den globalen Finanz- und insbesondere Aktienmärkten durch die Bank weg erfreulich. An vielen Orten der Welt konnten Leitindizes neue Höchststände erreichen oder sich den alten bis auf wenige Punkte annähern. Doch dieses scheinbare Indiz für einen marktbreiten Aufschwung trügt angesichts der Entwicklung einiger weniger, hoch kapitalisierter Gesellschaften, die ihren guten Lauf aus den Vorjahren vielfach haben fortsetzen und so wesentlich zu den (medial berichtet positiven) Indexentwicklungen beitragen können. Kürzt man die namhaften Indizes um diese wenigen Performancetreiber, so bleibt oftmals weniger als die Hälfte der (dann nicht mehr so) „herausragenden“ Performance übrig.

Sich dieser Tatsache bewusst zu werden, scheint uns insbesondere für „passive“ Investoren von Bedeutung. Denn es ist naiv zu glauben, dass dieselben Aktien, die in den zurückliegenden fünf bis zehn Jahren die Entwicklung der großen Aktienindizes wesentlich vorangetrieben haben, dies auch künftig in gleicher Weise tun werden. So mag ein Zuwachs von weiteren 1.900% der NvidiaAktie für die kommenden fünf Jahre aus Sicht von manchem Anleger wünschenswert sein oder gar realistisch erscheinen. Allerdings wäre diese eine Aktie dann am Ende mehr wert als die übrigen 499 Aktien aus dem S&P 500 zusammengenommen, was theoretisch denkbar ist, uns jedoch zweifeln lässt.

Doch wenn vergangene Zugpferde künftig (weit) weniger positiven Einfluss auf die Indexentwicklung nehmen werden, bleibt dem passiven Investor nicht viel mehr als zu hoffen, dass das schrittweise „Erlahmen“ der alten Zugpferde Hand in Hand geht mit einer gesteigerten Nachfrage nach den Aktien anderer Unternehmen. Diese muss zudem stark genug sein, um den Popularitätsrückgang der „alten“ Schwergewichte aufzufangen und aus der aktuellen „Hausse der Wenigen“ einen „Aufschwung der Vielen“ werden zu lassen. Sollte dies nicht oder nur mit zeitlichem Versatz gelingen, so scheinen die Märkte ausgereizt und Vorsicht geboten.

Für den aktiven Investor hingegen stellt sich die derzeitige Situation weder als ungewöhnlich noch besorgniserregend dar. Denn schließlich werden die Gelegenheiten der guten Kapitalanlage nicht dadurch weniger, dass sich die Preise einiger weniger Aktien exponentiell verändern. Ganz im Gegenteil steigt ihre Anzahl oftmals dadurch, dass das Kapital, welches seinen Weg in die „Modeaktien“ hineinfindet, vorher aus anderen Quellen abgezogen werden musste und so bestehende Ungleichgewichte verstärkt werden. Diese zu finden und zum Vorteil der uns langfristig vertrauenden Anleger zu nutzen, war schon immer unser Bestreben…und ist der Grund unserer andauernden Zuversicht.

1 Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
2 Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

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