Historisch stark, politisch fragil

Die Entwicklung der europäischen Aktienmärkte im letzten Quartal war in gleichem Maße gewöhnlich wie historisch bedeutend.
Gewöhnlich, da ein Quartalsplus des STOXX 600 von knapp 6% in rund 30% aller Fälle vorgekommen ist und somit zu den häufigsten Ereignissen zählt.1 Historisch bedeutend, da die Renditedifferenz zum US-amerikanischen S&P 500 (dessen — in EUR gerechnetes — Quartalsergebnis von -9% zu den historisch schwächsten zehn Prozent zählte), bei fast 15% gelegen hat, was gleichzeitig dem höchsten jemals gemessenen Wert entspricht:2

Ein Blick auf die vorstehende Grafik lässt jedoch daran zweifeln, ob dieses relative Performanceplus der europäischen Aktienmärkte ggü. den US-amerikanischen von Dauer sein wird.
Denn zum einen war dem letzten, historisch stärksten Quartal ein nahezu ebenso schwaches vorausgegangen, weswegen die Entwicklung der letzten drei Monate lediglich als Revision des schwachen Schlussquartals 2024 angesehen werden könnte. Hinzu kommt, dass sich der STOXX 600 lediglich in 42% aller Quartale besser entwickeln konnte als der S&P 500. Unter Vernachlässigung des „goldenen europäischen Zeitalters“ und damit des Zeitraums von 2004 bis 2007, fällt dieser Wert sogar auf 37%. Das vergangene Quartal sollte folglich historisch als Ausnahme- und nicht als Regelfall verstanden werden.

Manch einer wird einwenden, dass mit der Lancierung beispielloser, kreditfinanzierter Infrastruktur- und Rüstungsprogramme, die Vergangenheit kaum mehr als sinnvoller Indikator gelten dürfte. Doch das bezweifeln wir.

Zwar mögen die im Raum stehenden Zahlen:

  • EUR 800 Mrd.: „Plan zur Wiederaufrüstung Europas“;
  • EUR 500 Mrd.: Deutsches Infrastruktur-Sondervermögen;

in Verbindung mit der Aussetzung der deutschen Schuldenbremse für Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben für sich genommen hoch erscheinen. In Relation zum deutschen, europäischen oder globalen Bruttoinlandsprodukt verlieren sie jedoch schnell den Nimbus der großen Zahl:3

Hinzu kommt, dass solcherlei Ausgaben nicht auf einen Schlag realisiert werden können, denn schließlich handelt es sich zum weitaus größten Teil um real zu produzierende Güter. So verfolgt bspw. das nunmehr auf dem Papier geschaffene deutsche Sondervermögen für Infrastruktur das Ziel, über einen Zeitraum von zwölf Jahren insgesamt 500 Milliarden Euro in die Modernisierung und den Ausbau der Infrastruktur zu investieren. Einfach gerechnet wären das dann folglich rund EUR 40 Milliarden jährlich, was weniger als einem Prozent des deutschen BIPs bzw. 0,04% des globalen BIPs entspricht. Selbst unter Hinzurechnung privater Gelder wäre das dann nicht viel mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.
Neben der absoluten Höhe ist auch der Zeitpunkt der Auszahlung ungewiss. Selbst die Erwartung einer — für die öffentliche Hand — kurzen administrativen Anlaufphase von nur wenigen Monaten, würde die Auskehrung von Fördermitteln noch in diesem Jahr unwahrscheinlich machen. Glaubt man den Überlegungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V., so wäre erst in den Jahren 2030 und 2031 mit der Erreichung des Förder-Höchststandes zu rechnen.4 Bis dahin braucht es jedoch weiterhin die Unterstützung anderer, um den deutschen und europäischen Güterwagon anzuschieben und auf Kurs zu halten.

Ein Akteur, der diese Rolle bis vor wenigen Jahren quasi wie selbstverständlich ausgefüllt hat, sind die USA. Doch dieses Rollenverständnis wankt — und das nicht erst seit Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps. Dessen Feuereifer der letzten Wochen wirkte jedoch wie eine Art Brandbeschleuniger.

So hat bspw. die unter der Leitung von Elon Musk stehende Behörde für Regierungseffizienz verlauten lassen, dass „die Regierung nicht effizient sei“, es „eine Menge Verschwendung und Betrug gebe“ und man „zuversichtlich sei, eine 15-prozentige Reduzierung der Bundesausgaben zu erzielen, ohne dass die kritischen Regierungsdienste beeinträchtigt werden“.5 Auch hier mögen 15% erst einmal nach wenig klingen. In Relation zu Bundesausgaben von jährlich USD 7 Billionen entspricht das jedoch dem doppelten Volumen des — auf bis zu zwölf Jahre angelegten — deutschen Infrastruktur-Sondervermögens, und das Jahr für Jahr!
Solche Einsparungen erfolgen zudem in einer Zeit, in der zuletzt nur noch die US-Bundesbehörden Willens waren, Kredite in höherem Maße aufzunehmen und zu investieren. Alle anderen Wirtschaftssubjekte stehen hingegen bereits seit Jahren auf der Bremse:6

Falls nun auch der amerikanische Staat (Federal government) — analog den privaten Haushalten (Households), Unternehmen (Non-financial und Financial corporate) und Länder- bzw. Lokal-Regierungen (State & Local government) — künftig keinen Wunsch mehr verspürt, zusätzliche Kredite aufzunehmen, wäre das auf globaler Ebene kritisch zu sehen und würde nicht nur der europäischen Bereitschaft zur erhöhten Schuldenaufnahme zuwiderlaufen. Hinzu kommt, dass die teils erratisch wirkende US-Regierungspolitik nicht mehr nur dem privaten Konsumenten aufs Gemüt schlägt, sondern zunehmend auch in den US-Chefetagen Einzug findet:7

Hierauf aufbauend zu erwarten, dass die US-Unternehmen bereitwillig die Lücke schließen werden, die nach dem Wegfall des Kreditnehmers „Öffentliche Hand“ entsteht, scheint kaum sinnvoll.

Doch nicht nur in den USA haben die (Nicht-)Handlungen der (Nicht-)Regierungen bereits spürbar negative Konsequenzen nach sich gezogen. So stiegen im Zuge der deutschen Ankündigung, künftig in deutlich höherem Maße Kredite aufzunehmen, die deutschen Langfristzinsen binnen weniger Tage um 40 Basispunkte an:8

Zwar blieben hiervon am Quartalsende lediglich rund die Hälfte übrig. Doch gelten deutsche Anleihezinsen in Europa als „Benchmark“, weswegen sich auch Länder wie Frankreich, Italien und Spanien über Zinsanstiege in etwa gleicher Höhe und damit perspektivisch eine Verteuerung Ihrer Refinanzierungskosten „freuen“ konnten. Die absolute Verschuldung Frankreichs, Italiens und Spaniens überstiegt die der Bundesrepublik Deutschland zudem deutlich: Insgesamt entfallen 43% der gesamten europäischen Staatsverschuldung auf diese drei Länder. Hierdurch wird einmal mehr die Brisanz solcher Alleingänge deutlich.
Anders als ferne Konjunkturprogramme, haben Zinsanstiege im Hier und Jetzt demnach unmittelbare Folgen. Und zwar nicht nur für abstrakt erscheinende Staatsanleihen-Märkte, sondern auch solche, die historisch eng mit der Entwicklung von Referenzzins-Märkten verbunden sind. Beispielhaft sei hier auf den deutschen Baufinanzierungs-Markt verwiesen, dessen durchschnittlicher 10-Jahreszins in den zurückliegen vier Wochen um 40 Basispunkte angestiegen und, anders als die Rendite deutscher Bundesanleihen, seither nicht wieder gesunken ist.9

Einfache Wahrheiten halten einer genaueren Prüfung meist nicht stand und politische Börsen sind erfahrungsgemäß kurzlebig. Wer an die Richtigkeit dieser Aussagen glaubt, sollte den Entwicklungen an den Finanzmärkten der letzten Wochen und Monate mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen.
So mag eine ähnlich hohe Outperformance europäischer Aktienwerte ggü. amerikanischen wie im ersten Quartal für Manchen nun sachlogisch erscheinen. Doch wäre das historisch fast ohne Beispiel. Die eine Ausnahme bildet das „goldene Zeitalter Europas“ und somit ein Zeitraum von ca. vier Jahren. In diesem war die Nachfrage nach realen Gütern aus europäischer (und vor allem deutscher) Produktion aus den USA, China und Europa selbst gleichermaßen hoch und das globale Vertrauen ungebrochen. Die heutigen amerikanischen Ultra-Caps befanden sich zudem noch im Dämmerschlaf (Beispiel: Microsoft) oder waren allenfalls ein Schatten ihres heutigen Selbst.
Aus deutscher und europäischer Sicht mag man erneut auf ein solch goldenes Zeitalter hoffen wollen. Allerdings werden die — im richtigen Maßstab betrachtet — geringen europäischen Rüstungs- und Infrastruktur-Investitionen allein ein solches Zeitalter nicht begründen können (zumal an der Richtigkeit der Bezeichnung „goldenes Zeitalter“ im Zusammenhang mit Rüstungsinvestitionen durchaus gezweifelt werden darf). Hierfür bräuchte es die Hilfe anderer. Diese jedoch scheinen einstweilen genug mit sich selbst zu tun zu haben. Allen voran die USA, deren Verlässlichkeit unter der Regierung Trumps in den letzten Wochen und Monaten spürbar gelitten hat. Die damit einhergehende Unsicherheit zieht immer weitere Kreise und hat in der Theorie sogar das Potential, die amerikanische Wirtschaft in die Rezession zu zwingen. Doch ist es weniger die Möglichkeit als vielmehr die Wahrscheinlichkeit, von der sich Investoren leiten lassen sollten. Insofern halten wir die baldige Entstehung einer US-Rezession, die diesen Namen auch verdient, trotz der teils erratisch wirkenden Politik Donald Trumps aus heutiger Sicht für unwahrscheinlich.
Ohnehin scheint es für langfristig denkende Investoren kaum sinnvoll, der Tagespolitik und den damit einhergehenden Preisschwankungen an den globalen Kapitalmärkten übermäßige Aufmerksamkeit zu schenken. So hat beispielsweise die META-Aktie (Facebook, Instagram und WhatsApp) seit Mitte Februar zwar rund 30% an Wert verloren und erfüllt damit formal das Kriterium einer Baisse. Allerdings liegt das Kursplus mit Blick auf die letzten drei, fünf oder zehn Jahre noch immer bei 150%, 230% bzw. über 550%. Und auf das, was von einem solchen Investment mit Blick auf die kommenden drei, fünf oder zehn Jahre zu erwarten ist, kommt es in Wirklichkeit an.
Aus der Perspektive eines langfristig denkenden Investors, haben die Preisrückgänge am US-amerikanischen Aktienmarkt diesen folglich wieder interessanter werden lassen. Zumal wir einen ähnlich starken Rückgang der Wertseite nicht haben beobachten können und ihn auch für die Zukunft auf Basis heute vorliegender Daten nicht vermuten. Gleiches, nur mit umgekehrten Vorzeichen, gilt für den europäischen und insbesondere deutschen Aktienmarkt. Beides schließt kurzfristig weitere — fundamental unbegründete — Kursanstiege (in Europa) bzw. Rücksetzer (in den USA) nicht aus. Zu hoffen, dass dieser Trend noch lange anhalten wird und hierauf zu wetten, hielten wir indes für unklug.

1 6% +/- 2%, die Range wurde folglich mit 4% bis 8% gewählt
2 Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
3 Quellen: Diverse, u. a. https://www.imf.org/en/Publications/WEO/weo-database/2024/October, eigene Berechnungen
4 https://www.diw.de/de/diw_01.c.940089.de/publikationen/diw_aktuell/2025_0111/sondervermoegen_fuer_infrastruktur__500-milliarden-euro-investitionspaket_wuerde_deutsche_wirtschaft_aus_der_krise_holen.html?utm_source=chatgpt.com
5 https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-03/elon-musk-doge-einsparungen-billion-us-dollar
6 Quelle: Apollo Global Management
7 Quelle: Apollo Global Management
8 Quelle: Bloomberg
9 https://www.baufi24.de/bauzinsen/

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