Aufschwung 2025: Mehr Stimmung als Substanz?
08.10.25
Ein bislang eher unspektakuläres Jahr 2025 tritt in sein letztes Viertel ein. Mit einem Plus von 3–4 % (je nach Betrachtung) zeigte der globale Aktienmarkt – gemessen am MSCI ACWI bzw. MSCI World Index – bisher wenig Bewegung. Ähnlich verhielt es sich am globalen Rentenmarkt, der rund 2 % zulegen konnte.
Damit ist im Grunde schon vieles gesagt. Doch Durchschnittswerte spiegeln die individuelle Wahrnehmung nur unzureichend wider – und liefern daher reichlich Stoff für Diskussionen. Besonders dann, wenn sich „heimische“ Aktien oder „klassische“ Anlageklassen wie Gold deutlich positiver entwickelt haben als der globale Markt. Solche Abweichungen einfach als selbstverständlich hinzunehmen und linear in die Zukunft fortzuschreiben, erscheint uns wenig sinnvoll. Relevanter ist das Verständnis des „Warum‘s“ — und genau dieser Frage wollen wir in diesem Infobrief nachgehen.
Warum ist der Goldpreis um fast 50 % gestiegen? — Momentum Teil 1
Die folgende Grafik zeigt die Goldnachfrage verschiedener Marktakteure in den vergangenen 15 Jahren, jeweils für das erste Halbjahr:1

Die graue Linie (rechte Skala) verdeutlicht, dass die gesamte Goldnachfrage relativ stabil zwischen 2.200 und 2.400 Tonnen lag. Ebenfalls zu erkennen ist, dass Zentralbanken (gelbe Balken) ihre Käufe nach dem Amtsantritt Donald Trumps nicht ausgeweitet, sondern gegenüber dem ersten Halbjahr 2024 sogar reduziert haben. Das aktuelle Niveau liegt zudem unter dem des ersten Halbjahres 2023 und nur geringfügig über dem von 2019.
Die meisten Marktteilnehmer richten ihr Nachfrageverhalten offenbar weniger am Goldpreis als vielmehr am strukturellen Bedarf aus. Eine Ausnahme bildet das ETF-Segment (rote Balken). Hier schwankt die Nachfrage stark – von Zuflüssen von bis zu +734 Tonnen bis hin zu Abflüssen von -612 Tonnen – und beeinflusst damit die Preisentwicklung maßgeblich:2

Gegenläufig zur vergleichsweise stabilen Nachfrage institutioneller Investoren verhält sich die (preiselastische) Schmuckindustrie (dunkelgrüne Balken): Starke ETF-Zuflüsse gehen fast spiegelbildlich mit rückläufiger Schmucknachfrage einher – und umgekehrt. Daraus ergibt sich, dass die Nachfrage nach Anlagegold über ETFs häufig das sprichwörtliche „Zünglein an der Waage“ ist, das über starke Ausschläge des Goldpreises entscheidet.
Zahlreiche Studien bestätigen diesen Zusammenhang. Allerdings gilt: Den größten Einfluss auf die Preisbildung üben meist sogenannte COMEX-Futures aus. ETFs wirken in diesem Gefüge weniger trendsetzend, sondern häufig trendverstärkend, da sie bestehende Trends eher begleiten als auslösen. Dieses Momentum hat den diesjährigen Anstieg entscheidend begünstigt.
Ob es anhält, bleibt offen. Nach ähnlich starken Preissprüngen – wie etwa bis ins Jahr 2011 – folgte eine Korrektur, die in einer Halbierung des Goldpreises mündete. Und auch das muss nicht zwingend das Ende sein; schließlich sind auch deutlich stärkere Rücksetzer historisch belegt. Da Gold – als nutzungsarmes Wirtschaftsgut – keinen fundamentalen Anker besitzt, sind beide Szenarien denkbar. Für Euro-Anleger käme im Falle eines anhaltend schwachen US-Dollars zudem ein negativer Währungseffekt hinzu. Doch wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario?
Warum hat der US-Dollar gegenüber dem Euro um 12 % abgewertet? — Momentum Teil 2
Kein Tag ohne Trump: In den vergangenen Monaten prägten zahlreiche Aussagen des amtierenden US-Präsidenten die Schlagzeilen. Seine Politik verunsicherte die Märkte – teils nur kurzfristig (wie beim Rückgang der Aktienmärkte im April dieses Jahres), teils mit bis heute anhaltender Wirkung. In letztere Kategorie fällt auch der US-Dollar, der gegenüber dem Euro rund 12 % und gegenüber anderen wichtigen Währungen im Schnitt etwa 10 % verloren hat.3

Bemerkenswert ist, dass die Entwicklung nach der Trump-Wahl zunächst in die entgegengesetzte Richtung verlief (siehe rot eingefärbte Fläche). Erst zum Jahreswechsel kam die Wende: Aus einem anfänglichen Rückenwind für den Dollar wurde Gegenwind. Diese bis heute andauernde Bewegung hat die in Euro ausgewiesenen Ergebnisse von US-Dollar-Anlagen deutlich belastet. So reduzierte sich das Plus des globalen Aktienmarktes von knapp 18 % auf lediglich 4 % in Euro – keine geringe Differenz.
Dennoch halten wir wenig von den immer wieder geäußerten Abgesängen auf den US-Dollar und der Vorstellung eines dauerhaften Niedergangs. Dagegen sprechen mehrere Gründe:
1. Dominanz des US-Dollars
Der US-Dollar ist und bleibt absehbar die unangefochtene Leitwährung auf den weltweiten Güter- und Finanzmärkten. Eine echte Alternative ist weit und breit nicht in Sicht:4

Eine Differenz von 11 % – wie im 5-Jahresvergleich – mag für sich genommen nach viel klingen und manchen Anleger dazu einladen, aktiv auf Währungen zu setzen und so vermeintlich „mehr“ aus dem Investment herauszuholen. Doch wer dem kurzfristigen Reiz folgt, riskiert die eigentliche Renditequelle: die Wertentwicklung des Unternehmens. Diese ist es, auf die Investoren setzen sollten. Denn sie bildet die Hauptursache, aus dem die Microsoft-Aktie in den vergangenen Jahren mehr als 140% (5 Jahre), 1.100% (10 Jahre) oder sogar fast 3.000% (20 Jahre) hat zulegen können — egal, in welcher Währung man misst.
2. Historische Vergleiche
Ein vergleichbares Maß an „Ablehnung“ gegenüber dem Dollar gab es zuletzt während der Coronakrise sowie zwischen 2008 und 2014 (siehe den Chart auf Seite 2). Doch weder erscheint uns die Zeit nach der Finanzmarktkrise repräsentativ (die ihren Ursprung in US-Subprime-Krediten hatte und mit einer vermeintlichen europäischen Alternative einherging), noch liegen wir aktuell weit entfernt von den Tiefstständen der Coronakrise.
3. Marktpositionierungen
Auch die Positionierung institutioneller Investoren deutet darauf hin, dass der aktuelle Trend bereits weit fortgeschritten ist. Wie die folgende Grafik zeigt, korrelieren deren Positionierungen stark mit den Auf- und Abschwüngen von EUR/USD. Werte oberhalb der Nulllinie spiegeln dabei eine pro-EUR-Haltung wider, Werte darunter eine pro-USD-Positionierung. In beiden Fällen wirkt diese Stimmungslage regelmäßig (auch hier) als „Zünglein an der Waage“:5

Fazit: Die aktuelle Positionierung schließt zwar weitere Dollar-Abwertungen nicht aus. Angesichts der Reife des laufenden EUR-Trends erscheinen sie jedoch zunehmend unwahrscheinlich.
Warum kennen einige Aktien kein Halten mehr? — Momentum Teil 3
Erstmals zu Beginn des Jahres 2021 überstieg die Marktkapitalisierung von Tesla die von Meta. Seither liefern sich beide Unternehmen ein Kopf-an-Kopf-Rennen:

Die Annahme, dass Tesla und Meta damit auch fundamental in derselben Liga spielen, liegt nahe – entspricht aber nicht der Realität. Während Tesla-Aktionäre in diesem Jahr ein Nettoergebnis von rund 6 Mrd. US-Dollar (ähnlich wie 2021) und in zwei Jahren von etwa 11,5 Mrd. US-Dollar (vergleichbar mit 2022) erwarten dürfen, können Meta-Aktionäre auf das Zehnfache hoffen. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim operativen Ergebnis und beim freien Cashflow:6

Die daraus abgeleiteten Bewertungsvielfachen bewegen sich bei Meta in einer Bandbreite von 15–25 und stehen damit im Einklang mit der Unternehmens-, Sektor- und Markthistorie. Bei Tesla hingegen liegen die Multiplikatoren zwischen 80 und 260 – Werte, die eine Verbindung zwischen Aktienkurs und Unternehmenswert kaum noch erkennen lassen.
Tesla ist dabei kein Einzelfall. Auch andere Unternehmen, denen populäre Narrative wie „Künstliche Intelligenz“ oder „europäische Rüstung“ zugeschrieben werden, erfreuen sich anhaltender Beliebtheit und hoher, durch ETFs verstärkter, Liquiditätszuflüsse — und das weitgehend unabhängig von fundamentalen Bewertungsmaßstäben. An die Stelle nüchterner Zahlen treten Geschichten, in denen beispielsweise Tesla nicht mehr nur als Automobilhersteller, sondern als Technologie- und KI-Unternehmen mit Robotaxi-Potenzial und angehängter SpaceX-Abteilung zu bewerten ist.
Zweifel an solchen Erzählungen haben den Kurs der Tesla-Aktie in der Vergangenheit zwar um 50–70 % einbrechen lassen. Doch diese Rückgänge waren stets von kurzer Dauer und haben die Überzeugung genährt, dass Rücksetzer vor allem Einstiegschancen darstellen. Auf Dauer aber können Aktienkurs und Unternehmenswert nicht entkoppelt existieren. Es ist daher keine Frage des Ob, sondern des Wann und Wie sie sich wieder annähern. Am Ende obsiegt selten die Story – sondern die Realität der Zahlen.
Fazit
Die Zeit momentumgetriebener (ETF-)Strategien ist angebrochen – und bringt ständig neue Stilblüten hervor. Ob Rohstoffe (Gold), Währungen (US-Dollar) oder Einzelaktien (Tesla, Rheinmetall & Co.): Gelder finden ihren Weg und treiben die Kurse – zunehmend ohne realen Bezug.
Einen stabilen Anker zu finden, ist bei Gütern mit nur geringem Nutzungswert (wie Gold) schwierig, bei Fremdwährungen kaum leichter. Hier braucht die Fortsetzung des Trends ein anhaltend positives Stimmungsbild und damit verbundene Liquiditätszuflüsse. Kippt die Stimmung, stirbt das Momentum – und verkehrt sich ins Gegenteil. Das gilt besonders für „Spekulationsrohstoffe“ wie Gold, deren Fallhöhe ungewiss ist.
Unternehmen dagegen besitzen einen realen Bezug und sind von Wert. Dieser ist in Form künftiger Erlös- und Ertragsentwicklungen sowie deren (hoffentlich kluger) Verwendung anzunehmen und sollte sich langfristig im Aktienpreis widerspiegeln. Doch mit fortschreitender Hausse tritt dieser Aspekt oft in den Hintergrund. Dauer und Ausmaß solcher Entwicklungen sind schwer einzuschätzen; sich ihnen allzu stark entgegenzustellen, kaum ratsam. Schließlich gilt: „Märkte können länger irrational bleiben, als man selbst zahlungsfähig.“ (John Maynard Keynes).
Der Zeitpunkt wird jedoch kommen, an dem die Geschichte auserzählt ist und sich entkoppelte Aktienkurse wieder der Unternehmenswirklichkeit annähern. Und das kann im Zeitalter momentumgetriebener Märkte rasant schnell geschehen – denn Momentum kennt nicht nur eine Richtung. Sich dessen bewusst zu bleiben und diese Erkenntnis regelmäßig in eigene Anlageentscheidungen einzubeziehen, halten wir für unerlässlich.
1 https://www.gold.org/goldhub/research/gold-demand-trends/gold-demand-trends-q2-2025
2 Quelle: Bloomberg
3 Quelle: Bloomberg Dollar Spot Index
4 https://www.federalreserve.gov/econres/notes/feds-notes/the-international-role-of-the-u-s-dollar-2025-edition-20250718.html; Der Index ist ein gewichteter Durchschnitt des Anteils jeder Währung an den weltweit offengelegten Devisenreserven (Gewichtung 25 %), des Devisenhandelsvolumens (25 %), der Emission von Fremdwährungsschulden (25 %), der Fremdwährungs- und internationalen Bankforderungen (12,5 %) sowie der Fremdwährungs- und internationalen Bankverbindlichkeiten (12,5 %).
Index der internationalen Währungsverwendung
5 Quelle: Bloomberg
6 Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen